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Eine andere Wirklichkeit

Leseproben

Mit dem Vorwort von Thomas Windelschmidt

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Vorwort
von Thomas Windelschmidt

Als mich Richard Neubersch bat, ein Vorwort zu seinem Roman „Eine andere Wirklichkeit“ zu schreiben, zögerte ich nicht lange. Zum einen, weil mich der Titel sofort faszinierte – zum anderen, weil ich Richard als Mensch und Denker sehr schätze. Ich wusste, dass dieses Buch etwas Besonderes sein würde: tiefgründig, inspirierend und voller unkonventioneller Ideen. 

Richard ist kein Autor, der nur Geschichten erzählt. Er ist ein Forscher des Lebens, ein Suchender, der die großen Fragen nicht nur stellt, sondern sie auch durchlebt: Woher kommen wir? Was ist unsere wahre Natur? Welche Möglichkeiten haben wir, unser Potenzial voll zu entfalten? Mit „Eine andere Wirklichkeit“ verbindet er Philosophie, spirituelles Wissen und visionäre Science-Fiction zu einem außergewöhnlichen Roman, der den Leser nicht mehr loslässt. 

Die Geschichte beginnt in Griechenland, wo Richard auf die geheimnisvolle Carinda trifft. Sie lädt ihn ein, eine Insel zu besuchen, die offiziell nicht existiert: Libidos. Diese Insel ist durch ein Hologramm verborgen und wird von einer hochentwickelten Zivilisation bewohnt, die eine völlig andere Art des Zusammenlebens praktiziert. Dort begegnet Richard Mara, der charismatischen Königin der Insel, die ihm über seine wahre Herkunft und die verborgenen Möglichkeiten menschlichen Seins aufklärt. 

Im Laufe seiner Reise erfährt er von außergewöhnlichen geistigen und spirituellen Fähigkeiten, die die Bewohner von Libidos beherrschen – Fähigkeiten, die der Rest der Menschheit längst vergessen hat. Er entdeckt eine Gesellschaft, die matriarchalisch organisiert ist, in der Frauen die Führung übernehmen und Liebe sowie Sexualität als heilige, spirituelle Praxis zelebriert werden. Zudem wird Richard in das Wissen um andere verborgene Zivilisationen eingeweiht, darunter die Überlebenden von Atlantis, die unter der Antarktis leben, und die Bewohner von Shangri-La, die verborgen in den Bergen des Himalayas existieren sollen. 

Doch: „Eine andere Wirklichkeit“ ist weit mehr als eine faszinierende Geschichte. Richard Neubersch stellt die entscheidende Frage: Leben wir wirklich in der einzigen und wahren Realität – oder ist unsere Wahrnehmung nur ein Bruchteil dessen, was tatsächlich existiert?  Der Roman fordert dazu auf, sich mit fünf zentralen Themen auseinanderzusetzen: 

 

  • Verborgenes Wissen: Gibt es Zivilisationen, die weit über unser heutiges Verständnis hinaus entwickelt sind? 

  • Menschliches Potenzial: Besitzen wir vergessene Fähigkeiten wie Telepathie oder Heilkräfte, die wiederentdeckt werden können? 

  • Gesellschaftskritik: Ist unser modernes Weltbild durch Dogmen, Konsum und Wissenschaftsmonopole eingeschränkt? 

  • Matriarchale Ordnung: Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, in der Frauen die Führung übernehmen? 

  • Sexuelle Freiheit als spirituelle Praxis: Welche Rolle spielt bewusste Sexualität für unser geistiges Wachstum? 

 

Diese Fragen machen „Eine andere Wirklichkeit“ zu mehr als nur zu einem Roman. Es ist eine Einladung, die eigene Wahrnehmung zu hinterfragen, Horizonte zu erweitern und vielleicht eine tiefere Wahrheit zu entdecken. Wer sich darauf einlässt, wird nicht nur eine kurzweilige Geschichte erleben, sondern auch seine eigene Sicht auf die Realität neu bewerten. 

Richard Neubersch ist nicht nur ein außergewöhnlicher Erzähler, sondern auch ein Mensch von beeindruckender Tiefe. Sein Buch ist keine bloße Fiktion – es ist eine Vision, die sich mit den großen Mysterien des Lebens befasst. Wer ihn kennt, wird seine Handschrift in jeder Zeile wiederfinden: seine Neugier, seine Offenheit und seine Fähigkeit, über Grenzen hinauszudenken. 

Dieses Buch ist ein Abenteuer. Ein Abenteuer für den Verstand, das Herz und die Seele. Lassen Sie sich darauf ein.

Ich wünsche Ihnen eine inspirierende Lektüre. 

 

Ihr 

Thomas A. M. Windelschmidt 

 

Thomas A. M. Windelschmidt verbindet Wissenschaft, Unternehmertum und Spiritualität auf einzigartige Weise. Als Physiker und Ökonom mit akademischen Wurzeln hat er sich intensiv mit Wirtschaft und Finanzsystemen beschäftigt. Doch sein Wirken reicht weit darüber hinaus: Er ist ein Vordenker, Visionär und spiritueller Begleiter. Seine unternehmerische Laufbahn spiegelt seine Innovationskraft wider. Mit OMNIAVISION® hat er ein Institut für holistische Coachings und Therapien gegründet, das Körper, Geist und Seele in den Mittelpunkt stellt. Dabei leitet ihn die Überzeugung, dass Vertrauen, Dankbarkeit und Liebe essenzielle Grundlagen eines erfüllten Lebens sind. Sein tiefes Verständnis für die Schöpfung zeigt sich in seiner Arbeit und Lehre. Er sieht den Menschen als unsterbliches Seelenwesen und begleitet ihn auf dem Weg der Bewusstwerdung. Seine zahlreichen Bücher und Coachings verbinden wissenschaftliche Klarheit mit spiritueller Weisheit und machen komplexe Zusammenhänge greifbar.

Vorwort
von Richard Neubersch

Heute jährt sich jener Tag zum fünften Mal. Im Jahr 2020 stand die Welt nahezu still. Menschen überall auf dem Globus sahen sich in ihren Freiheiten drastisch eingeschränkt. Auch ich war betroffen – in Griechenland, wo ich die meiste Zeit in einem gemieteten Ferienhaus verbrachte. Dort, auf der Terrasse mit Blick auf das weite Mittelmeer, nahm eine besondere Vision Gestalt an: die Vorstellung einer geheimen Insel, verborgen in den Wellen, belebt von einer freien, weit entwickelten Gemeinschaft mit einer völlig anderen Sozialstruktur.

​

Das Bild war so lebendig, dass ich mich eines Tages hinsetzte und begann, die inneren Szenen niederzuschreiben. Aus dieser Eingebung entstand damals der Roman, den Sie nun in Händen halten.

 

Erst jetzt, fünf Jahre später, habe ich den Mut gefunden, mein Werk zu veröffentlichen. Am Inhalt habe ich nichts verändert. Vieles darin ist eng mit meinem persönlichen Erleben verknüpft. Anderes hingegen ist reine Fiktion. Selbstverständlich wurden die Namen der Personen geändert.

 

Vielleicht fragen Sie sich, warum es so lange dauerte. Die Antwort ist schlicht: Es fehlte der innere Antrieb. Erst heute verspüre ich das unaufhaltsame Verlangen, Ihnen diese Welt zu öffnen und sie mit Ihnen zu teilen.

 

Während des Schreibens tauchte ich tief in diese fremde, zugleich faszinierende Wirklichkeit ein. Es war eine unbeschreibliche Freude, die mich bis heute erfüllt, wenn ich an Libidos denke. Der Prozess der Vorbereitung auf die Veröffentlichung hat diese Empfindungen erneut geweckt. Nun bin ich entschlossen, nach Libidos zurückzukehren und meine weiteren Erlebnisse dort festzuhalten.

 

Sollte dieses Buch auch in Ihnen den Wunsch entfachen, Teil dieser Welt zu sein, dann freuen Sie sich auf das, was noch folgen wird.

Einleitung

Irgendwo im Ionischen Meer gibt es eine Insel, die niemand jemals auf Google Maps oder in einem Atlas finden wird. Sie ist nicht kartografiert. Ihren Bewohnern ist es gelungen, bis heute unentdeckt zu bleiben.

​

Denken Sie etwa, das sei unmöglich? Was macht Sie da so sicher? Halten Sie es für ausgeschlossen, dass es auf unserer Erde Völker gibt, von denen wir nichts wissen? Und was wäre, wenn sie über Fähigkeiten und Technologien verfügten, die uns weit überlegen sind? Sie meinen, das sei nicht möglich, ohne dass wir es bemerkt hätten?

Kennen Sie nicht auch das unbestimmte Gefühl, dass in Ihnen verborgene Talente und Kräfte schlummern? Was wäre, wenn ich Ihnen versicherte, dass sie mit Ihrem Gefühl richtig liegen? Vor Tausenden von Jahren benutzten wir diese Fähigkeiten, ohne darüber nachzudenken. Sie waren für uns so selbstverständlich wie der Schlaf. Heute dagegen wissen wir nicht einmal mehr, dass es sie gibt und sie jederzeit abrufbar sind.

​

Die Bewohner von Libidos haben jene Fähigkeiten scheinbar nicht vergessen. Sie haben vor langer Zeit kollektiv entschieden, dass ihre kleine Insel unsichtbar bleiben sollte. Mit ihren Kräften schufen sie ein holografisches Bild des Meeres und legten es in einer passenden Entfernung um und über die Insel. Das machte sie für vorbeifahrende Schiffe und Flugzeuge wie auch Satelliten nicht erkennbar. Ein holografisches Bild des Meeres herzustellen, war eine der leichtesten Übungen für ihre Bewohner, waren sie doch umgeben vom Meer, soweit man blicken konnte.

Sie glauben mir nicht? Sicher fragen Sie sich, wieso ich diese Insel kenne und solche Behauptung aufstellen kann? Wie sollte ich sie denn entdeckt haben, wenn sie doch für Außenstehende unsichtbar ist? Ganz einfach: Ich wurde von ihrer Königin persönlich eingeladen.

​

Mir ist bewusst, dass Sie mir auch das nicht glauben wollen. Zugegeben, was ich Ihnen zu erzählen habe, hätte ich selbst nie für möglich gehalten. Ich versichere Ihnen, dass ich die Wahrheit schreibe und nichts als die Wahrheit. Hätte ich die Wahl, alles noch einmal zu erleben oder nicht, ich würde keine Sekunde zögern. Ich würde mich ein weiteres Mal von einem Tsunami erfassen lassen, der jede Orientierung in meinem Leben fortschwemmt und meinen Verstand aufs Äußerste auf die Zerreißprobe stellt. Dabei fing alles ganz harmlos an, wie im Wagen einer Achterbahn, der zunächst gemächlich nach oben klettert, während man genüsslich den Ausblick bewundert, danach atemberaubend schnell in die Tiefe stürzt, blitzschnell die nächste Kurve nimmt, um sofort danach eine neue Überraschung zu erleben.

Kommen Sie, lassen Sie uns in den Wagen klettern! Ich nehme Sie mit.

Meropi

Tag 1

An einem warmen Sonntagmorgen im Juni saß ich im Garten des Bistros Aquarella und schaute verträumt auf das Meer und auf Meropi, die kleine, vorgelagerte Insel. Hier, im Aquarella, bin ich häufig, seitdem ich in Griechenland wohne. Dieses Café im malerischen Kardamyli liegt direkt am Meer und wirkt auf subtile Weise inspirierend auf mich. Der beruhigende Wellengang und das tiefe Blau des Mittelmeers ergänzen sich mit dem schattigen Garten des Bistros zu einem Ort natürlicher Stille. Dieser Platz schenkt mir jedes Mal ein Gefühl inneren Friedens und tiefer Dankbarkeit.

So war ich wieder einmal in diesen paradiesischen Zustand versunken, als sich eine junge Frau näherte und mich ansprach: „Verzeihung, Sie sind doch Richard Neubersch, richtig?“

Verstört sah ich sie an. Sie war hübsch und schaute mir selbstsicher ins Gesicht.

„Ja“, antwortete ich. „Woher wissen Sie das? Kaum jemand kennt mich hier und schon gar nicht meinen Nachnamen.“

„Ich habe ein Bild von Ihnen auf Ihrer Webseite gesehen. Darf ich mich zu Ihnen setzen?“

Sie wartete nicht auf eine Antwort, sondern platzierte sich elegant in den Sessel zu meiner Linken.

„Ganz schön keck“, dachte ich. Ich sagte leicht belustigt: „Oh, bitte, zögern Sie nicht! Setzen Sie sich doch bitte zu mir! Was möchten Sie trinken?“

Sie grinste mich an und erwiderte: „Gerne einen doppelten Ellenico Metrio.“

Christina, die hübsche Kellnerin, hat uns wohl beobachtet und sah mich fragend an. Ich bat sie um einen doppelten griechischen Kaffee mit ein wenig Zucker. Sie nickte wissend und verschwand auch schon wieder.

„Und wer sind Sie?“

„Ich heiße Carinda, Herr Neubersch. Natürlich kennen Sie mich noch nicht. Doch Sie haben vor etwa einem Jahr meine Tante kennengelernt.“

„Aha?“

„Sie hatte Sie letztes Jahr in Würzburg an Ihrem Ausstellungsstand kennengelernt und Sie sehr ausführlich nach Ihren Produkten und Ihrer Technologie befragt. Erinnern Sie sich? Sie hatte Sie auch gefragt, ob Sie sie besuchen würden.“

Ich brauchte nicht lange, bis ich begriff, von welcher Frau sie sprach. Ich erinnerte mich deshalb sofort, weil sie einen bleibenden Eindruck bei mir hinterließ.

Ich erwiderte: „Ja, ich erinnere mich an sie. Sie war sehr selbstbewusst und überaus interessiert.  Ich fand es damals komisch, dass sie mir ihren Namen und Wohnort nicht verraten wollte, obwohl sie fragte, ob ich sie besuchen würde. Wohnt sie etwa genau hier in Griechenland? Das wäre ja ein schöner Zufall, oder?“

„Ja“, antwortete sie, „man könnte sagen, sie wohnt in der Nähe. Wann wären Sie denn bereit, sie zu besuchen? Ginge es gleich heute oder haben sie schon was vor?“

„Hoppla, junge Frau! Nicht so schnell!“

„Warum denn nicht? Der Tag ist noch jung.“

Ich überlegte. Es war Sonntag und ich hatte keinerlei Pläne. Warum nicht? Ich willigte ein und sie bat mich sichtlich erfreut, ihr zu folgen.

„Warten Sie! Ich muss erst bezahlen.“ Schnell lief ich zur Kellnerin, bezahlte und war schon am Ausgang, als ich hörte: „Hallo, der Herr! Sie haben Ihr Handy liegen lassen!“ Ich tastete meine Hose ab. Tatsächlich! Kein Handy. Ich lief zurück und bedankte mich bei dem freundlichen Herrn am Nachbartisch.

„Ihr Handy können Sie im Auto lassen. Sie werden es nicht brauchen“, riet meine Entführerin. „Und wenn doch?“, fragte ich wichtigtuerisch.

„Bei uns ist kein Empfang. Sie wären nur frustriert!“, war ihre Antwort. „Aber für Fotos!“, warf ich ein.

„Keine Fotos“, grinste sie.

„Na gut!“, willigte ich ein und fragte: „Fahren wir denn nicht mit dem Auto? Wo steht Ihr Wagen? Wir können auch mit meinem fahren.“

„Wir nehmen das Boot.“ Sie zeigte zum kleinen Hafen, der nur 50 Meter vom Aquarella entfernt lag.

Dort lag ein einfaches Boot. Es hatte die Größe der hier häufigen kleinen Fischerboote. Doch es sah viel moderner aus und wurde von einigen Touristen bestaunt, die am Kai standen und uns neugierig zusahen.

Weil ich ein wenig zögerte, meinte Carinda: „Na los, steigen Sie ein!“

Kaum war ich im Boot, sprang der Motor an und wir tuckerten ins offene Meer. Nach kurzer Zeit stoppte der Motor jedoch und ich sah meine Begleitung verdutzt an. Sie beruhigte mich: „Keine Sorge! Wir fahren weiter.“

Ich beugte mich über den Bootsrand und schaute ins Wasser. Tatsächlich! Wir glitten völlig lautlos durch die Wellen. Verwundert sah ich nach oben. Keine Segel.

„Freie Energie nennt ihr das wohl“, meinte sie schmunzelnd. „Ich freue mich sehr, dass du zugesagt hast, Richard. Ich darf dich doch duzen, oder? Bei uns auf der Insel duzen wir uns nämlich alle.“

„Ja, klar! Gerne!“, erwiderte ich. „Wir fahren also zu einer Insel?“

„Ja, wir sind gleich da.“

Voller Erwartung scannte ich das Meer in alle Richtungen bis zum Horizont. Ich fragte mich, wo hier wohl eine Insel sein sollte.

Mein Blick wanderte zu Carinda und blieb an ihr haften. Sie mochte vielleicht Mitte dreissig sein und sah unverschämt attraktiv aus. Ihr sommerliches, kniefreies Kleid wehte fröhlich im Fahrtwind, genau wie ihre langen, blonden Haare. Ihr Gesicht war von außergewöhnlicher Anmut. Es vermittelte nicht nur äußere Schönheit, sondern verriet mir auch ihre innere Tiefe. Meine Augen tasteten ihren Körper ab. Jeder Modedesigner würde bereit sein, ein Vermögen für sie als Model auszugeben. Ihre langen Beine und die schlanken Fesseln und Waden versprachen einen visuellen Genuss für jenen Mann, der das Privileg haben würde, diese Frau unbekleidet zu sehen.

Kaum hatte ich diesen Gedanken im Kopf, drehte sie sich zu mir und sah mich auffordernd an. Ich errötete, weil ich mich irgendwie von ihr ertappt fühlte.

Sie deutete nach vorne und sagte: „Schau!“

* * *

Vor mir öffnete sich das Meer. Ja, ich muss es so beschreiben, denn genauso sah es aus. Wie von Geisterhand waren plötzlich alle Wellen weggewischt, in Luft aufgelöst, und eine Insel wurde vor mir sichtbar.

Carinda bemerkte meine Verwirrung und erklärte: „Unser Schutzhologramm hat sich gerade für uns aufgelöst. Die Insel ist für die Außenwelt unsichtbar und niemand weiß von ihr. Du bist einer der Wenigen, der sie zu Gesicht bekommt. Willkommen auf Libidos!“

„Wie jetzt?“ Eine intelligentere Frage fiel mir einfach nicht ein. Mein Verstand war wie ausgewischt. „Das verstehe ich nicht“, brachte ich gerade noch heraus. Wie konnte es sein, dass große Teile des Meeres vor meinen Augen verschwinden und an seiner Stelle eine riesige Insel erkennbar wird? Schutzhologramm hin oder her, das ist doch unmöglich! „Meine Tante wird dir alles genau erklären“, sagte Carinda.

Wir hatten inzwischen im Hafen angelegt und mit einer Geste wies sie mich an, das Boot zu verlassen. Wir schlugen den Hauptweg ein, der vom Hafen vorbei an kleinen Häusern bergauf führte. Carinda lief neben mir. Jedes Mal, wenn ich mich fasziniert umdrehte, um einen weiteren Blick auf dieses Idyll zu werfen, wartete sie lächelnd ab. Sie schien meine Bewunderung dieser kleinen Hafenstadt zu genießen. Alle Häuser, die den Hafen säumten, waren aus Terrakotta und hatten pyramidenförmige Dächer, die im Sonnenlicht glitzerten. Alle anderen Häuser, die weiter entfernt lagen, waren ebenfalls Terrakotta-Pyramiden mit ähnlich glitzernden Kappen. Zwischen den Häusern konnte ich üppige Gärten erkennen, die farbenfroh leuchteten.

„Das ist so wunderschön, Carinda“, schwärmte ich. Sie schmunzelte und sagte: „Es freut mich, dass es dir hier gefällt. Wollen wir weiter zum Palast gehen?“

„Zum Palast?“, stutzte ich und hakte nach, „Zu welchem Palast?“

Das wird ja immer unwirklicher. Völlig verwirrt starrte ich sie an. Gleichzeitig stieg eine merkwürdige Freude auf, die ich so noch nicht kannte. Erinnern Sie sich vielleicht an das Gefühl der Vorfreude, das Sie als Kind vor der Bescherung hatten? So ähnlich fühlte es sich auch für mich an, nur sehr viel intensiver und mit ganz vielen Schmetterlingen im Bauch.

Ich hörte Carinda sagen: „Ja, meine Tante ist die Königin von Libidos. Sie heißt eigentlich Marvella, doch wir alle nennen sie liebevoll Mara.“

Ich fühlte mich völlig überwältigt. Diese Insel, die niemand kennt, mit einem der malerischsten kleinen Häfen, die ich je gesehen hatte und mit glitzernden Pyramiden um mich herum, hatte bereits alle meine Erwartungen gesprengt. Zu hören, dass die Frau, die ich in Würzburg kennenlernte, die Königin dieser Insel war, machte es für meinen sonst so klaren Menschenverstand nicht besser. Hinzu kam, dass ich mich an Carindas Bemerkung erinnerte, das nur wenige von ausserhalb die Insel je zuvor besucht hatten. Ich tat, was ich immer in Momenten tue, die mich verunsichern. Ich klammerte mich an mein Mantra: „Nicht handeln, nur spüren“

Ich hatte keine Aufmerksamkeit für all das Schöne auf dem Weg zum Palast. Ich war zu sehr mit meinen Gefühlen beschäftigt. Mein Körper lief völlig automatisch neben Carinda her, stetig bergauf.

Erst nach einer Biegung verlor ich meinen inneren Fokus, denn vor uns stand ein großes, aber schlichtes Gebäude. Bei aller Unscheinbarkeit war es doch beeindruckend elegant mit einer fremdartigen Ästhetik.

„Der Palast!“, rief Carinda aus. Ihre Stimme verriet, dass ihr der Aufstieg ebenso den Atem nahm wie mir.

Ich schaute mich interessiert um. Nirgendwo konnte ich Wächter oder Bedienstete erkennen. Als wir zum Eingangsbereich kamen, löste sich ein Teil der Wand in nichts auf und gab den Weg ins Innere frei. Noch ein Hologramm, dachte ich, als sich auch schon eine andere Wand öffnete und wir einen Raum betraten, der nicht aus vier Wänden bestand, sondern völlig rund war. Ich schätzte seinen Durchmesser auf etwa zwanzig Meter. Ich spähte nach oben in eine Kuppel aus angenehm warmen Licht. 

Im Zentrum des Raums befand sich eine gemütliche Sitzgruppe, wo die Person saß, die ich vage als die Frau wiedererkannte, die mir ein Jahr zuvor beim Kongress gegenüberstand.

* * *

„Mara“, sagte Carinda, „hier ist er. Ich fand es toll, dass er ganz spontan mitgekommen ist. Danke, dass du mich damit beauftragt hast.“ Sie verbeugte sich und verließ den Raum, ohne dass ich mich von ihr verabschieden konnte.

„Sei herzlich willkommen, Richard! So darf ich dich doch nennen, oder? Carinda hat dir sicher schon erklärt, dass wir uns hier alle duzen? Ich heiße Mara!“

„Ja, selbstverständlich, Mara. Ich fühle mich geehrt“, erwiderte ich leicht verunsichert und fügte hinzu, „Vor allem bin ich total überrascht, in einem Palast gelandet zu sein. Das hätte ich nie vermutet, als wir uns in Würzburg unterhielten. Gar nicht zu reden von der Insel, die niemand kennt und je besucht hat. Wieso gerade ich?“

Ich hatte wirklich keine Erklärung für mein Hiersein. Was sollte ich hier? Warum empfängt mich eine Königin und was will sie von mir? Ist sie überhaupt eine Königin? Sie trug nur ein einfaches, weißes Kleid, das bis zum Boden reichte. Mit ihrem zum Dutt gebundenen Haar machte sie nicht gerade einen königlichen Eindruck auf mich.

„Du fragst dich gerade, warum du hier bist und was ich von dir will, Richard. Oder wünschst du, dass ich dich Sohnemann nenne?“

Mir stockte der Atem. Wie konnte sie davon wissen? Sohnemann hatte mich nur meine Mutter genannt.

„Wundere dich nicht. Wir auf Libidos haben Fähigkeiten, die euch dort draußen eigentlich auch zur Verfügung stehen. Doch der Unterschied ist, dass ihr von ihrer Existenz nichts mehr wisst und dass es ein wenig Übung braucht, um sie sich zu eigen zu machen. So können wir zum Beispiel Gedanken lesen und uns untereinander ohne Worte verständigen, indem wir uns unserem Gegenüber im geistigen Feld öffnen. Wir können mit Leichtigkeit jede gewünschte Information aus dem geistigen Feld abrufen und genauso gut auch Informationen senden. Mit solchen Dingen bist du ja bestens vertraut.“

Das war mir im Prinzip nicht neu, denn dieses Wissen war Alltag in unserer Firma. Es entsprach meinem Weltbild und Verständnis der erweiterten Realität. Also erwiderte ich: „Das ist irgendwie einleuchtend für mich. Ich wusste nur nicht, dass es ein Volk gibt, das diese Fähigkeiten wie selbstverständlich benutzt. Aber das beantwortet nicht meine Frage. Warum hast du mich eingeladen? Willst du die ganze Insel harmonisieren?“

„Nein, Richard. Mein Interesse galt nicht Swiss Harmony, als ich in Würzburg war, sondern dir“, antwortete sie.

„Mir, wieso mir?“ Jetzt wurde ich neugierig.

„Lass mich zunächst erklären, wo du hier bist“, begann Mara, „wir nennen uns Archikaner, weil wir unsere Ursprünglichkeit behalten haben. Uns gibt es nur deswegen noch, weil wir uns seit vielen Tausend Jahren vor dem Rest der Welt versteckt halten. Hätten wir dies nicht getan, wären wir von eurer Gesellschaft, egal ob westlicher oder östlicher Prägung, so stark beeinflusst worden, dass auch wir unseren Seinszustand verloren hätten.“

Ich hakte nach: „Was ist denn euer Seinszustand? Kann man seinen Seinszustand verlieren? Was meinst du damit?“

Mara antwortete: „Niemand verliert seinen Seinszustand. Jedes Lebewesen, gleichgültig, ob Pflanze, Tier oder Mensch, hat eine Selbstwahrnehmung, die seinen Seinszustand bestimmt. Es kommt darauf an, welche Qualität er hat. Beim Menschen erhöht sich die Qualität durch ein individuelles Bewusstsein und den freien Willen. Das macht uns zu besonderen Geschöpfen auf diesem Planeten. Doch der freie Wille ist es auch, der uns vom Seinszustand des perfekten Wesens, als das wir geschaffen wurden, mehr und mehr abbringen kann. Und genau das passiert in eurer Welt seit vielen Tausend Jahren.“

Ihre Worte hätten auch von mir sein können. Ich war schon lange davon überzeugt, dass wir als Kollektiv dumm gehalten werden.

„Das leuchtet mir ein“, stimmte ich zu, "Das ist seit einiger Zeit mein Reden. Ich sage immer, dass wir alle mit falschen Vorstellungen und angeblichen Wahrheiten erzogen wurden. Sie sind uns von Generation zu Generation vererbt worden und wenn wir auf die Welt kommen, lernen wir die aktuellen gesellschaftlichen Übereinkünfte in Form von Verhaltensregeln in moralischer, ethischer und ästhetischer Hinsicht. In der Schule lernen wir meist nur Unwahrheiten, die uns als sogenannte Wissenschaften indoktriniert werden. So verlieren wir den Kontakt zu unserem eigentlichen göttlichen Wesenskern, wenn wir ihn überhaupt jemals hatten. Zu allem Überfluss werden wir heutzutage durch Fernsehprogramme, soziale Medien und die allgegenwärtigen Hochfrequenzen völlig eingelullt und in einen tiefen Schlaf versetzt.“

„Das hast du gut beschrieben. Es ist tatsächlich so. Das Ergebnis ist, dass ihr wie Adler in einem Hühnerstall lebt. Ihr glaubt kollektiv, Hühner zu sein und verhaltet euch auch so, weil ihr nicht mehr wisst, dass ihr Adler seid.“

„Und ihr seid die Adler?“, fragte ich ein wenig provozierend.

Mara blieb unbeeindruckt und erwiderte: „So wie ihr auch. Der Unterschied ist, dass wir es wissen und wie Adler leben.“

Sie hatte zweifellos recht. Ich selbst hatte häufig ein ähnliches Beispiel benutzt. Ich sprach immer von Löwen unter Schafen. Doch ich wollte jetzt wissen, warum ich hier war. Ich ließ deshalb nicht locker und sagte: „Das ist sehr interessant, Mara. Wir könnten uns darüber stundenlang austauschen. Allerdings erschließt sich mir noch immer nicht, was mir die Ehre verschafft hat, auf eurer Insel zu sein. Carinda sagte mir, dass nur selten jemand von ausserhalb hier war. Warum also ich?“

Mara schien zu zögern und nachzudenken. Ich ließ sie nicht aus den Augen. Dann leuchtete ihre Miene auf und sie fragte: „Oh, verzeih mir, Richard! Ich hab dir nicht einmal einen Platz angeboten. Wir müssen das alles nicht im Stehen besprechen. Setz dich doch! Und zu trinken habe ich dir auch nichts angeboten. Wie unaufmerksam von mir! Darf ich dir einen Kaffee oder irgendetwas anderes bringen lassen?“

Wie offensichtlich sie sich um eine Antwort drückte! Leicht gereizt antwortete ich: „Kaffee wäre schön. Sag mir bitte, warum ich das Gefühl habe, dass dir eine Antwort schwerfällt?“

Sie setzte sich auf ein Sofa und bedeutete mit einer Geste, mich neben sie zu setzen.

Ein junger Mann erschien wie aus dem Nichts und servierte mir Kaffee. Mara hatte für sich einen Tee bestellt. Hier funktioniert eben alles nonverbal. Sie wartete, bis er wieder verschwand und begann: „Es stimmt, Richard, die Antwort fällt mir zum jetzigen Zeitpunkt schwer. Ich will mich aber bemühen, deine Frage zumindest teilweise zu beantworten.“

Sie machte eine Pause, in der sie beobachtete, wie ich meinen Kaffee trank. Erst nachdem ich meine Tasse absetzte und sie auffordernd fixierte, fuhr sie fort: „Schau, dir ist sicher nicht entgangen, dass du nicht nur außerordentlich intelligent bist, sondern auch über ein spirituelles Verständnis verfügst, das dich in den letzten Jahren aus der Menge hervorgehoben hat. Du weißt heute, dass du nicht von dem getrennt bist, was ihr Menschen Gott nennt. Du lebst angstfrei und bist stets bemüht, dein kleines, individuelles Selbst im Zaum zu halten. Tatsächlich brauchst du dich nicht einmal mehr zu bemühen, denn dir fällt sofort auf, wenn dein Ego sich einmischen will. Du gibst dich dem Leben hin, ohne einen eigenen Plan, ohne eigene Ziele zu haben. Dein einziger Wunsch ist, im Gleichklang mit der kosmischen Ordnung zu leben.“

 

„Spannend, dass du die kosmische Ordnung erwähnst. Darüber habe ich vor wenigen Tagen mit einer guten Bekannten gesprochen“, erwiderte ich fasziniert.

„Ich weiß“, sagte Mara. "Ich habe dafür gesorgt, dass ihr so angeregt über dieses Thema gesprochen hattet. Christina hat eine sehr gute Intuition.“

„Du warst das?“ Ich traute meinen Ohren nicht und woher kannte sie ihren Namen? Christina, eine gute Bekannte aus Berlin, hatte mich am letzten Wochenende in Kardamyli besucht. Wir hatten sehr viele Ideen ausgetauscht und Erkenntnisse gehabt. Eines der Hauptthemen war die göttliche Ordnung. War das etwa alles inszeniert?

Also fragte ich sie: „Wenn du das gewesen bist, dann frage ich mich, was du sonst noch alles inszeniert hast.“

„Das will ich dir gerne sagen, denn es gehört zu meiner Antwort auf deine Frage. Ich muss dazu ziemlich weit ausholen. Zunächst musst du wissen, dass wir im ständigen Kontakt mit außerirdischen Arten sind. Vor Jahrzehnten sind wir von einer dieser Arten gebeten worden, dich im Auge zu behalten, weil du eine der Seelen bist, die zu ihnen gehört.“

„Was?“ Ich traute meinen Ohren nicht. „Jetzt wird es wirklich schräg, Mara. Das soll ich dir glauben?“ Eine Art mentale Lähmung machte jeden weiteren Gedanken unmöglich.

„So verrückt es sich für dich auch anhören mag, Richard, es ist die Wahrheit.“

Hilflos sah ich sie an. In ihren Augen konnte ich Klarheit und Mitgefühl erkennen. Ich war wie im Schockzustand. Mara wartete ab. Sie schien genau zu wissen, welches Gedankenchaos gerade in mir ablief.

Von wo komme ich? Wer bin ich dann wirklich? Kenne ich mich überhaupt? Wer denkt hier gerade? Und wozu das alles überhaupt? Es machte keinen Sinn.

Mara lächelte und sagte sanft: „Mir ist klar, dass dich das wie ein Schock treffen muss, doch ich weiß, dass du damit umgehen kannst. Lass dir Zeit. Du wirst dich langsam, aber sicher mehr und mehr mit deiner wahren Herkunft identifizieren können, und damit wird auch dein ursprüngliches Wissen zu dir zurückkommen. Im Moment brauchst du es noch nicht. Die Zeit wird erst noch kommen.“

Ihre Worte entspannten mich. Mir kam ein Gedanke, den ich ihr sofort zuwarf: „Wann genau seid ihr gefragt worden?“

Mara antwortete: „Vor etwa vierzig Jahren.“

Ich wollte mehr wissen und fragte: „Aber warum haben sie euch überhaupt gefragt?“

„Man sagte uns, dass du mit siebenundzwanzig Jahren Gefahr laufen könntest, für sie verloren zu gehen, weil du zu jenem Zeitpunkt deine Firma für viel Geld verkauft hast. In solchen Momenten kann ein Mensch völlig dem Mammon verfallen. Erfahrungsgemäß steht er damit meist nicht mehr für die höheren Ebenen der göttlichen Ordnung zur Verfügung.“

Ich antwortete nachdenklich: „Ich erinnere mich gut an diese Zeit. Ich hatte diesen fetten Scheck in der Tasche und glaubte, es geschafft zu haben. Doch gleichzeitig spürte ich Angst aufkommen, und ich fragte mich, was es wirklich zum Glücklichsein braucht.“

„Siehst du?“, fragte Mara schmunzelnd und wartete darauf, dass bei mir der Groschen fällt.

„Das wart ihr?“, fragte ich ungläubig.

Sie nickte nur und fuhr fort: "Ja, das waren wir. Später hatten wir auch unsere Hände im Spiel, als du dich von deiner ersten Frau getrennt hattest. Kannst du dich nicht an den Applaus in jener Nacht erinnern? Wir waren so stolz auf dich.“

Ich erinnerte mich an jene Nacht, in der ich meiner Frau gestand, dass ich mich von ihr trennen wollte. Es war dramatisch und gleichzeitig war ich mir sicher, das Richtige zu tun, denn mir war, als würden alle meine geistigen Helfer applaudieren.

„Das war nicht fair!“, erwiderte ich empört.

Jetzt fühlte ich mich wie eine Marionette, ein Spielball fremder Kräfte in meinem eigenen Leben. Aus Ärger wurde Wut, die Mara sofort wahrnahm.

„Halt ein!“, befahl sie streng. „Lass solche Gefühle nicht zu. Dein Ego fühlt sich betrogen. Dein kleines Selbst fühlt sich gekränkt und entmachtet. Erinnere dein Ego daran, dir zu dienen und nicht die Diva zu spielen.“

Das war hilfreich. Ich traf die Entscheidung, mich zu beruhigen und meine Erregung ließ schnell nach.

Sie fuhr fort: „Glaubst du etwa, dies sei alles ohne deine Einwilligung geschehen? Falsch gedacht. Nach Aussage unserer Auftraggeber hast du dich damals vor deiner großen Reise verpflichtet, deine Aufgabe um jeden Preis zu erfüllen, komme, was wolle. Du hast sie ermächtigt, korrigierend einzugreifen, sollte deine Mission in Gefahr geraten.“

„Interessant“, bemerkte ich und fragte, „und warum weiß ich nichts davon und von dieser Mission?“ Schon wieder was Neues. Eine Mission! Mein Ego bereitete sich wieder zum Sprung vor, als Mara antwortete: „Weil es darum ging, dass du bis zu einem gewissen Zeitpunkt auf dieser Erde unerkannt bleibst. Dazu war notwendig, dass nicht einmal du selbst wissen durftest, wer du bist.“

Mein Ego entspannte sich wieder und ich sagte: „Gut, Mara, das ist ziemlich starker Tobak und wirft unzählige Fragen auf. Die wichtigste ist sicherlich: Was ist meine Mission? Genauso gerne wüsste ich immer noch, warum du mich hierhergeholt hast.“

„Alles zu seiner Zeit“, erwiderte Mara. „In einer Stunde werden wir gemeinsam zu Mittag essen. Dann werde ich dir noch einige Frauen und Männer von Libidos vorstellen. Jetzt aber ist die Zeit der Liebe gekommen. Lass uns in mein Schlafzimmer gehen!“

Sie stand auf. Ich blieb demonstrativ sitzen. Hörte ich richtig? Zeit der Liebe? Schlafzimmer?

„Moment mal! Was meinst du damit?“

Mara war schon auf dem Weg zu einer der entfernteren Wände. Sie drehte sich um und lächelte verschmitzt.

„Ihr habt bei euch den Gottesdienst. Wir haben etwas anderes. Das, was ihr Gott nennt, ist für uns in Wahrheit kosmische Liebe. Aus diesem Grunde ehren wir unseren Gott in einem täglichen Ritual der Liebe.“

Das wird ja immer schöner! Aber nicht mit mir!

„Ja, aber ich kenne dich doch kaum und wer sagt dir, dass ich jetzt Sex will? Hab ich da nicht auch ein Wörtchen mitzureden?“

Das Verschmitzte in ihrem Lächeln hatte einen seltsam verführerischen Charme angenommen. Ihre Worte waren bestimmend und autoritär: „Nein, hast du nicht! Libidos ist ein Matriarchat. Weißt du, was das bedeutet?“

„Erklär’s mir!“, entgegnete ich trotzig.

„Hier auf Libidos bestimmen wir Frauen. Du wirst lernen, jeder Frau zu gehorchen. Hast du gehört? Jeder Frau! Und das, solange du dich auf unserer Insel befindest, mein Lieber!“

„Für mich ist Libidos die Insel, die mich von einem Schock in den nächsten treibt“, antwortete ich und stand auf, „und das hier ist wohl der heftigste. Ich will sofort wieder zurück. Such dir einen anderen für dein Ritual!“ Ich wandte mich ab und suchte den Ausgang.

„Richard!“, rief sie mit scharfem Ton. Ich hielt inne, drehte mich aber nicht zu ihr um.

„Hör mir zu!“ Ihre Stimme war jetzt wieder sanfter. „Mir ist klar, dass dein Weltbild heute mehrfach eingestürzt ist. Das muss für dich sehr hart sein. Deine Verwirrung ist sicher groß. Doch handele nicht impulsiv und stelle dich dem, was das Leben an Geschenken anzubieten hat. Wie kannst du dich von etwas abwenden, das du nicht kennst? Ich wünsche, dass du dich umdrehst und zu mir kommst.“

Ich entschied, ihrem Wunsch nachzugeben. Sie hatte ja recht. Schließlich war es meine Lebensphilosophie für alles, was ist, dankbar zu sein und dem Leben kein Nein zu geben. Was konnte ich schon verlieren? Jetzt stand ich ihr wieder gegenüber. Wenn ich sie bis gerade als Gesprächspartnerin ohne weibliche Akzente wahrnahm, hatte ich nun eine völlig andere Wahrnehmung von ihr. Unfassbar! Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden.

Ihre Haut schien in einem zarten Goldton zu leuchten. Wo kam der plötzlich her? Warum ist mir vorher nichts dergleichen aufgefallen? Ihre weiblichen Formen hatte ich bis eben nicht einmal wahrgenommen. Jetzt jedoch hatten sie eine starke Anziehungskraft, die mich in ihren Bann zogen wie eine vielversprechende Einladung. Das war reine Magie in ihrer schönsten Form. Ohne dass ich länger darüber nachdenken konnte, folgte ich ihr widerstandslos, als sie meine Hand nahm und mich durch die inzwischen geöffnete Wand zog.

Vor uns lag eine große Liegelandschaft mit weißen Decken und Kissen. Seitlich wurden sie von duftenden Liliengestecken geschmückt und auf der gegenüberliegenden Seite erkannte ich einen lebensgroßen Akt aus hellem Marmor.

Das Licht war gedämpft und nahm in den hinteren Bereichen des Raumes eine blaue Färbung an.

Mara, die Königin von Libidos, stand jetzt wieder vor mir und entkleidete sich mit eleganten Bewegungen, fließend und völlig selbstverständlich.

Und ihre Ausstrahlung! Göttlich ist wohl der passendste Begriff in diesem Moment, der mich jedes Zeitgefühl vergessen ließ.

„Mara“, stammelte ich verunsichert.

Völlig nackt trat sie einen Schritt näher und begann, mich ganz langsam zu entkleiden. Sie sprach dabei mit sanften Worten:

„Hier auf Libidos ist die Verehrung der Liebe das höchste Ritual unseres Volkes. Das Wichtigste, das du wissen musst, ist, dass es nicht um deine körperlichen Triebe geht. Die Sexualität ist zwar die Kraft, die uns magnetisch in die Vereinigung bringen wird, doch wir konzentrieren uns nicht auf sie. Stelle es dir vor wie dein Ego, das du nicht zur Diva werden lässt, sondern dir zum Diener machst. So ist es auch mit deiner Sexualität, die dir die Vereinigung ermöglicht, aber nicht zum beherrschenden Trieb wird.“

Ich stand nackt und erigiert vor ihr. Sie zog mich liebevoll auf das überdimensionale Bett und ergänzte mit ihrer verzaubernden Stimme:

„Siehst du, deine Erektion ist eine ganz natürliche Reaktion auf meine Ausstrahlung. Es sind nicht wirklich meine perfekten Brüste, meine schlanken Beine oder sonst welche äußeren Formen, sondern es ist die Frequenz meines inneren Seins, die ich jetzt vollständig und kompromisslos auf Hingabe zur Liebe eingestellt habe. Sie regt in dir die gleiche Frequenz an und weil du bereits in deinem Leben gelernt hast, dich bedingungslos hinzugeben, kannst du mich beantworten. Denke nicht, sorge dich nicht, gib dich meiner Energie hin und lass dich einfach fallen!“

Und ich fiel ...

* * *

Ich öffnete die Augen. Wo war ich? Es war so still. Ich lag nackt auf dem Bett und erinnerte mich, dass Mara irgendwann aufstand, nachdem sie mir einen letzten Kuss geschenkt hatte, den ich immer noch auf meinen Lippen spürte. Ich musste wohl eingeschlafen sein.

Was für ein Erlebnis! Alles, was ich bisher über Sexualität zu wissen glaubte, hatte Mara ad absurdum geführt. In dieser Stunde war ich der Wahrnehmung meiner eigenen Göttlichkeit näher gekommen, als jemals zuvor. Nein, halt! Das ist noch lange nicht alles. Da war mehr. Aber was? Ich musste mich wohl erst einmal sortieren. Innerlich. Nicht genug, dass ich gerade meine Socken zusammensuchte, ich suchte auch in meinem Innern nach Orientierung. Es gelang mir nicht wirklich. Was blieb, war die Gewissheit, dass ich Sexualität nie wieder so erleben wollte, wie ich es von früher gewohnt war.

Ich zog mich an, setzte mich auf die Bettkante und versuchte, Worte für das zu finden, was ohne Worte geschah. Innere Bilder tauchten auf. Bilder, für die ich keine Beschreibung hatte. Keine Gedanken, keine Worte, nur Bilder. Honig ist das einzige Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich an die erotische Spannung zurückdachte, die eindeutig durch Maras beherrschende Ausstrahlung entstand. Der süße Lohn völliger Hingabe an das Weibliche machte mich absolut willenlos, während sich jede Zelle in mir gierig lechzend mit ihrer Liebe betrank. Es war kosmisch. Gab es uns überhaupt noch als Individuen? Waren wir nicht eher im kosmischen Honig aufgelöst? Ja, das passte am besten, wenn es auch insgesamt kitschig klingen mag, aber diese Metapher wird der Erfahrung am ehesten gerecht.

Ich stand auf und ging zu der Stelle an der Wand, an der wir den Raum betraten. Nichts tat sich. Ich trat noch näher an die Wand. Keine Reaktion.

Ich setzte mich wieder aufs Bett. Ich wusste, dass man sich schon um mich kümmern würde. Und so war es auch. Kaum saß ich, öffnete sich die Türe wie von Geisterhand und Carinda trat ein.

„Es tut mir leid, Richard, dass du vor verschlossener Tür stehen musstest. Wir haben dir noch nicht erklärt, wie unsere Türen funktionieren. Dabei ist es ganz einfach. Du gehst auf die Türe zu und bist dir dabei völlig sicher, dass sie sich öffnen wird.“

Ich erwiderte: „Ich dachte, dass ich es genauso gemacht habe. Schließlich habe ich beobachtet, wie die Türen sich für euch geöffnet haben.“

Carinda erklärte: „Ja, daraus kann man falsche Schlüsse ziehen. Zwei Dinge musst du wissen: Erstens braucht es einen Gleichklang mit der Türe. Den wirst du nur dann haben können, wenn sie dir gehört, sich also in deinem eigenen Haus befindet oder wenn du dich autorisiert, also eingeladen fühlst, durch eine bestimmte Türe zu gehen. Deswegen kann kein Unbefugter unsere Räume betreten. Das Zweite kann ich dir am besten so erklären: Stell dir vor, du willst eine Tasse Kaffee trinken. Du nimmst also die Tasse und führst sie an deinen Mund. Und jetzt frage ich dich: Hast du dir Gedanken dazu gemacht, ob dein Arm und deine Hand auch die richtigen Bewegungen dazu ausführen? Natürlich nicht. Sie folgen deiner klaren, unverfälschten Intention. Genauso verhält es sich mit unseren Türen. Lass es uns üben! Willst du es versuchen?“

„Klar, das wird jetzt funktionieren!“ Ihre Erklärung leuchtete mir völlig ein. Solche Türen hätte ich auch gerne bei mir zu Hause.

Ich lief auf die Türe zu und sie öffnete sich. „Warum klappte es nicht beim ersten Mal?“, fragte ich. „Ich hatte doch auch die Erwartung, dass sie sich öffnen würde. Was war jetzt anders?“

„Beim ersten Mal gab es in dir noch Zweifel, weil dir solche Türen nicht bekannt waren und du dir nicht sicher sein konntest, wie sie genau funktionieren. Diese winzige Unsicherheit sorgte für minimale Frequenzanomalien und schon blieb die Türe für dich verschlossen.“

„Das macht Sinn“, bestätigte ich, „ich hatte tatsächlich eine leichte Unsicherheit.“

Während wir sprachen, liefen wir durch den mir bereits bekannten Raum zur gegenüberliegenden Seite und es öffnete sich ein vom Sonnenlicht durchstrahlter Bereich, dessen Außenseiten und die Decke vollständig aus Glas bestanden. Wie verzaubert war ich vom Ausblick gebannt. Tief unter uns lag das offene Meer. Ich konnte Schiffe in der Ferne erkennen und eine kleine, vorgelagerte Insel.

* * *

„Willkommen im Ältestenrat von Libidos, Richard!“, unterbrach Maras Stimme mein Staunen. Erst jetzt bemerkte ich sie vor einem großen, runden Tisch stehend, um den grob geschätzt etwa zehn Personen saßen. Sie kam auf mich zu.

„Der Ältestenrat ist über deinen Besuch und deine Herkunft bereits bestens informiert“, fuhr Mara fort. Sie ergriff meinen Arm und führte mich zu einem der Stühle neben. „Du wirst bald feststellen, dass dir verschiedene Anwesenden bereits irgendwie bekannt sind. Lass dich überraschen!“

Gütig schmunzelnd setzte sie sich auf den benachbarten Stuhl. Carinda nahm an meiner anderen Seite Platz.

Leicht verunsichert sagte ich: „Guten Tag! Ich bin ein wenig durcheinander, doch ich freue mich, hier zu sein.“ Wohlwollendes Nicken.

Ich setzte mich und schaute interessiert in die Runde. Von wegen Ältestenrat! Hier saßen attraktive junge Frauen und agile junge Männer Seite an Seite mit älteren Menschen.

Mara hat mal wieder meine Gedanken gelesen, denn sie sagte: „Du wunderst dich vielleicht, junge Menschen im Ältestenrat vorzufinden. Dazu musst du wissen, dass wir hier alle viel älter sind, als du dir vorstellen kannst. Schau dir zum Beispiel Kerstin an, die dir gleich zu Anfang aufgefallen ist.“

Sie hieß Kerstin? Wirklich? Was geht hier vor und wieso hatte sie bemerkt, dass sie mir tatsächlich sofort ins Auge fiel?

„Ja, Kerstin. Sie sieht nicht ganz so aus wie deine Kerstin, aber doch sehr ähnlich, oder nicht?“

Ich nickte.

„Was glaubst du, wie alt sie ist?“

Sie sah aus wie Mitte dreissig. „Fünfunddreissig?“, fragte ich.

„Nicht ganz. Sie wurde vor knapp zweihundert Jahren geboren“, erwiderte sie schmunzelnd.

„Und das soll ich glauben? Ihr nehmt mich auf den Arm!“

„Nein, Richard! Erinnere dich: Wir sind Adler, nicht Hühner. Adler entscheiden selbst über ihren Alterungsprozess und verlassen diese physische Ebene, wenn sie selbst den Zeitpunkt für gekommen halten. Die älteren Menschen an diesem Tisch sind teilweise fünfhundert Jahre alt und stellen sicher, dass wir immer im Gleichklang mit der göttlichen Schwingungsfrequenz sind. Sie sind sozusagen die Wächter der Wahrheit.“

„Ich dachte, so etwas gibt es nur in alten Mythen und Schöpfungsgeschichten“, bemerkte ich voller Erstaunen.

„Alle eure Mythen haben tatsächlich einen realistischen Bezug“, entgegnete sie, „Hier auf Libidos wirst du erkennen, dass sie wahr sind, denn wir leben im Geist der alten Mythen. Wir haben uns unser Wissen und unsere Fähigkeiten bewahrt.“

Rechts von mir hörte ich jemanden sagen: „Richard, weißt du, warum du hier bist?“ Ich schaute mich zu ihm um und sah in das freundliche Gesicht eines älteren Herrn mit vollem weißen Haar. Ich schätzte ihn auf sechzig.

„Nicht wirklich“, antwortete ich, „ich weiß nur, dass ich von eurer Königin eingeladen wurde. Seit meiner Ankunft habe ich so viele Überraschungen erlebt und Informationen verkraften müssen, dass ich noch nicht dazu gekommen bin, darüber nachzudenken.“ Ich setzte nach: „Allerdings habe ich Mara schon gefragt, die mir die Antwort aber noch schuldet.“

„Nun, du kannst mich Nicholas nennen. Ich habe dich begleitet, seitdem du 27 Jahre alt wurdest. Du kennst mich aus deinen inneren Dialogen mit mir.“

Tatsächlich hatte ich vor vielen Jahren ein Medium besucht, dem sich ein Wesen namens Nicholas als mein geistiger Führer vorstellte. Seitdem hatte ich mit ihm in schwierigen Lebenssituationen immer wieder innere Zwiesprache gehalten und seine Antworten waren ausnahmslos tröstend und ermutigend. Das funktionierte so, dass ich meine Fragen an ihn einfach in mein Tagebuch tippte und anschließend die Worte eingab, die mir in den Sinn kamen. Sie entpuppten sich ausnahmslos als zuverlässige Lebenshilfe. In den letzten Jahren verlief mein Leben allerdings so angenehm, dass ich keine Notwendigkeit verspürte, Nicholas zu befragen.

„Du bist mein geliebter Nicholas? Ich habe lange nicht mehr mit dir gesprochen. Das tut mir leid!“ erwiderte ich.

„Warum sollte dir das leidtun? Ich bin nicht dazu da, von dir unterhalten zu werden. Alles ist gut. Im Gegenteil: Ich habe mit großer Freude beobachtet, wie sich dein Leben hin zur göttlichen Ordnung entwickelt hat. Deine Lebensführung und die Art, wie du Swiss Harmony aufgebaut und gestaltet hast, ist für uns alle hier ein Paradebeispiel menschlicher Entwicklung. Aus diesem Grunde war auch Mara bei dir beim Umweltkongress. Sie wollte dich persönlich kennenlernen und sich selbst davon überzeugen, dass du im Einklang mit der Wahrheit lebst.“

Ich zögerte ein wenig und sagte dann: „Eigentlich müsste ich mich jetzt freuen, doch ich spüre keine Freude, sondern Traurigkeit.“

„Was glaubst du, warum du sie spürst?“, fragte Nicholas mit fühlend.

Ich spürte in mich hinein und versuchte zu analysieren, woher meine Traurigkeit kam. Doch mein Kopf wollte nicht funktionieren. Dann hörte ich mich sagen: „Weil so viele andere Menschen es nicht hinkriegen und stattdessen leiden.“

Nicholas sprach daraufhin: „Siehst du, genau hier zeigst du dein wahres Selbst. Dein wahres Selbst weiß nämlich, dass wir alle eins sind und deshalb empfindest du eine grenzenlose Empathie für die unzähligen Seelen, die noch in der Illusion gefangen sind und Leid statt Freude spüren.“

„Wie könnten wir ihnen helfen?“ fragte ich spontan und völlig unüberlegt. Ich wusste schließlich, dass jeder Mensch für sich selbst entscheiden muss, wie er leben will und dass wir uns nicht einzumischen haben.

„Du hilfst doch schon längst, Richard“, erwiderte Nicholas, „Dein Sein hinterlässt Spuren im Bewusstsein all derer, denen du in deinem Leben begegnest. Gerade in letzter Zeit hast du vielen deiner Kunden und anderen Bekannten und Freunden durch deine Schwingung Impulse gegeben, die sie in einen Veränderungsprozess geführt haben, der immer noch andauert. Unterschätze nicht deine Wirkung auf andere.“

Bilder diverser Begegnungen tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Ich erinnerte mich an viele Kundenbesuche, die zu intimen Gesprächen führten und ein freudvolles Gefühl allumfassender Liebe zum Ergebnis hatten. Es war beinahe immer so, dass die Begrüßung zunächst distanziert geschah und der Abschied mit Lebensfreude und feuchten Augen gekrönt war.

„Ja genau! Du erinnerst dich“, bemerkte Nicholas, der wohl meine Gedanken mitverfolgte, „Genau diese Momente waren es, die dir mitteilen sollten, dass du den Menschen Licht bringst. Es erweitert ihr Bewusstseinsfeld und zeigt ihnen Möglichkeiten auf¯, ihr wahres Potenzial zu erkennen und es in ihrem Leben umzusetzen.“

„Und tun sie‘s denn?“, fragte ich.

„Nein, meist nicht. Dennoch! Es ist so, als würde ihr Schale damit einen kleinen Riss bekommen haben. Es braucht in der Regel mehr Impulse zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Menschen. Die Wiederholung führt dazu, dass der Riss größer und größer wird.“

„Also weitermachen“, grinste ich.

„Genau!“ bestätigte Nicholas, „Auch das hast du schon längst begriffen. Das freut mich sehr.“

Dann hörte ich Mara sagen: „Ich denke, dass wir Richard jetzt in Ruhe essen lassen sollten. Wir wollen seinen Verstand nicht überbeanspruchen. Vielleicht ist es besser, wenn wir ihm nun Zeit geben, all die Eindrücke zu verarbeiten.“

Obwohl ich den Eindruck gewann, dass Mara wieder einmal bemüht war, mich nicht den Grund für diese Einladung wissen zu lassen, war ich ihr für diese Worte dankbar und zeigte es ihr mit einem scheuen Lächeln. War das dieselbe Frau, mit der ich noch vor wenigen Minuten verschmolzen in Honig badete? Jetzt erschien sie mir überhaupt nicht erotisch zu sein. Sie hatte vielmehr die Ausstrahlung einer unaufdringlichen, aber selbstverständlichen Autorität.

Wenn bis gerade noch eine konzentrierte Aufmerksamkeit am Tisch vorherrschte, weil jeder der Anwesenden unserem Gespräch lauschte, breitete sich nun entspanntes Gemurmel aus und ich sah zum ersten Mal auf die Schale, die mir jemand kurz vorher reichte. Sie war mit dampfendem Brei gefüllt.

Es schmeckte mir, denn ich war hungrig. Wie lange schon hatte ich nichts mehr gegessen? Ich hatte jedes Zeitgefühl verloren. Ich schaute aus dem überdimensionalen Fenster und sah, dass die Sonne schon recht tief stand. Konnte das sein?

Mara sprach mich an: „Wenn du fertig bist, wird dich Carinda wieder zurück nach Kardamyli bringen. Es ist schon später, als du denkst. Wundere dich nicht. Du hast nach unserer Zeit der Liebe vier lange Stunden geschlafen. Diesen Schlaf brauchtest du, damit du nun für den Rückweg gestärkt bist. Wie ich Carinda kenne, wirst du deine Kraft noch brauchen.“

Ich sah, wie Mara und Carinda sich schmunzelnd ansahen und verstand nur Bahnhof.

Zum Abschied wurde ich herzlich von Nicholas und Mara umarmt. Mara hielt mich ein wenig länger in ihrer Umarmung und flüsterte mir ins Ohr: „Ich mag deinen Cockring.“ Die Schamesröte stieg mir bis in die Haarwurzeln. Ich war bei unserem Akt so aufgeregt, dass ich ihn völlig vergessen hatte. Sie sah mich aufmunternd an und meinte: „Ich finde es schön, wenn Männer sich auf diese Weise schmücken. Bis zum nächsten Mal, mein Freund!“

Carinda nahm meine Hand und gemeinsam verließen wir den Palast.

* * *

Schweigend gingen wir den Weg zum Hafen hinab, vorbei an den kleinen, pyramidenförmigen und mit Blumen bewachsenen Häusern. „Sind sie nicht hübsch?“, fragte mich Carinda. „Ja, das sind sie“, erwiderte ich. „Willst du wissen, wie sie von innen aussehen? Ich zeige dir gerne das Haus einer Freundin. Sie ist noch unterwegs und hat sicher nichts dagegen, wenn wir hineingehen.“

Wie hätte ich nein sagen können? Ich war viel zu neugierig.

So kam es, dass Carinda mich ein wenig abseits des Weges in eines der Häuser einließ. Ich staunte nicht schlecht. Von innen erschien es viel größer. Es bestand scheinbar aus einem einzigen Raum, in den farbig gefiltertes Sonnenlicht einströmte. Offensichtlich wurde in diesem Raum gekocht, gebadet, gearbeitet und geschlafen, denn alle Bereiche des Raumes hatten die entsprechenden Möbel und in der Mitte stand ein hübsch dekoriertes, rundes Bett.

„So sehen die meisten Häuser auf Libidos aus. Möglicherweise stammt das Konzept noch aus der grauen Vorzeit, als man in Rundzelten wohnte“, erklärte Carinda, „Diese Bauweise hat sich für uns als äußerst praktisch erwiesen. Wir würden nie auf die Idee kommen, Wände einzuziehen und kleine Zimmer zu schaffen.“

Ich hörte ihr zwar zu, doch lief ich fasziniert hierhin und dorthin, bestaunte den modern gestalteten Küchenbereich, die modische Sofaecke, die jedes Möbelhaus aufgewertet hätte und blieb zuletzt vor einem Bereich stehen, der mir wie das Atelier eines Malers vorkam.

„Ist deine Freundin Malerin?“, fragte ich beim Anblick eines noch unfertigen erotischen Ölgemäldes.

„Ja, Richard. Das ist sie. Kannst du mich auf ihrem Bild erkennen?“

Ich drehte mich zu ihr um. Da stand sie. Splitterfasernackt!

„Carinda!“, entfuhr es mir. „Was machst du?“

„Pssst! Sprich nicht! Sei jetzt einfach nur hier und schau mich an, berühre mich und gib dich deiner Lust hin.“

Ihr Anblick war hinreißend. Heute Morgen hatte ich noch gedacht, wie privilegiert der Mann sein müsse, der sie unbekleidet sehen darf. Und nun stand sie nackt vor mir. Mit wohlgeformten Brüsten, die fest und rund meinen Blick gefangen hielten. Was dann geschah, will ich hier nur andeuten. Wie Mara, erstrahlte auch Carinda in einer unwiderstehlichen Anmut und doch war alles anders, denn ich verspürte ein tierisches Verlangen. Ich konnte mich nicht schnell genug meiner Kleider entledigen und eh ich mich versah, lag ich in ihren fordernden Armen. Kein Honig diesmal, sondern animalischer Sex, völlig tabulos und befreiend.

Eine Stunde später lösten wir uns aus unserer Umarmung und zogen uns an.

Sie sah mich erfreut an. „Das war wunderbar, mein Lieber! Danke!“

„Danke auch dir, Carinda. Schließlich hast du mich ja verführt“, sagte ich bewundernd. „Doch ich verstehe das alles nicht. Mara sagte, dass ihr euch nicht von der Lust dominieren lasst. Doch gerade waren wir wie die Tiere.“

„Was Mara sagte, bezieht sich nur auf die Zeit der Liebe. Das ist immer zur Mittagszeit. Ihr würdet es vielleicht Gottesdienst nennen. Doch wir sind schließlich auch ganz normale Menschen mit animalischen Trieben, wie andere Lebewesen auch. Denkst du, wir würden das nicht ausleben wollen?“

„Doch, doch! Jetzt, wo du es erklärt hast, leuchtet es mir ein. Und was ist mit Verhütung? Und überhaupt! Hast du keinen Freund?“

Carinda lachte. „Einen Freund? Ich habe mindestens 600 Freunde! Hier auf Libidos heiraten wir nicht. Wir lieben uns alle und wenn wir Lust haben, dann ist der nächste gerade der beste. So einfach ist das. Ach ja, und über Verhütung denken wir nicht nach, weil sie nicht nötig ist.“

Ich staunte nicht schlecht. Warum kann ich nicht auf Libidos wohnen? Das ist ja wie im Märchen!

„Wieso ist Verhütung nicht nötig?“

„Weil wir Frauen bewusst entscheiden können, ob und wann wir schwanger werden wollen. Auch das ist eine naturgegebene Fähigkeit der Frau, die in eurer Gesellschaft verloren gegangen ist. Wollen wir los?“

„Ungern. Ich könnte ewig mit dir hier liegen bleiben und reden.“ Mara stand schon und zog sich ihr Sommerkleidchen über. „Trägst du keine Unterwäsche?“

„Nein! Was dagegen?“

Als wollte sie es drauf ankommen lassen, beugte sie sich vornüber, um ihre Schuhe zu binden.

„Dein Kleid ist zu lang.“ Sie zog es augenblicklich höher und drehte mir ihren Kopf zu.

„Ist es so recht?“

Ich stand auf und tätschelte liebevoll ihren nackten Po. „Wir müssen das hier unbedingt wiederholen, Carinda!“ Sie umarmte mich und hauchte: „Gerne.“

Dann stieg auch ich in meine Jeans und zog mir das Hemd über.

Wir verließen das Haus und waren nach wenigen Metern am Hafen, wo das kleine Boot bereits auf uns wartete.

Als es ablegte, fragte ich: „Gerade fällt mir auf, dass wir alleine auf dem Boot sind. So wie auch schon auf der Hinfahrt. Steuerst du das Boot ganz alleine?“

„Na klar! Gedankenkraft, mein Lieber.“

„Könnte ich das auch?“

„Wenn du übst, kannst du das auch.“

„Lässt du mich mal?“

Augenblicklich wurde das Boot langsamer und sank tiefer. Jetzt schaukelte es richtungslos auf den Wellen.

Ich gab den inneren Impuls, dass es sich in Gang setzen solle. Nichts. Ich stellte mir vor, dass sich freie Energie aufbauen und den Antrieb aktivieren würde. Nichts tat sich. Carinda grinste. 

„Mach dir nichts draus“, tröstete sie mich, „es braucht eben Übung. Fahren wir weiter?“

Ich nickte frustriert. Schon setzte sich das Boot wieder in Bewegung. In der Ferne war bereits Land in Sicht.

„Ich kann nicht verstehen, dass eure Insel so nah an Kardamyli liegt. Das muss doch irgendwie bemerkt werden.“

„Nein, du irrst dich“, klärte mich Carinda auf. „Unsere Insel liegt in Wahrheit mitten im Mittelmeer. Von uns ist es nach Sizilien genauso weit wie nach Griechenland oder Afrika. Mit diesem Boot brauchen wir deshalb nur zehn Minuten, weil wir der Zeit ein Schnippchen schlagen. Sicher weißt du, dass Zeit eine Illusion ist.“

„Ich höre das immer wieder, doch erlebt hab ich das noch nicht.“

„Doch, Richard, hast du! Wie kannst du sagen, dass du es noch nicht erlebt hättest? Heute haben wir die Zeit zweimal verbogen.“

„Ich meinte doch, bevor ich Libidos kannte.“

In Kardamyli angekommen, umarmten wir uns zum Abschied. Sie griff entschlossen in meine Hose und fasste meinen Cockring. Mit warmer Stimme sagte sie: „Dein Cockring ist nicht nur schön. Er hat mich vorhin ziemlich scharf gemacht. Ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch.“  Völlig verstört sah ich zu, wie sie wieder ins Boot stieg und davonrauschte. Was für eine Frau!

* * *

Verträumt und tief in Gedanken machte ich mich auf den Weg zu meinem Auto. Jetzt wurde mir langsam klar, warum diese Insel Libidos heißt. Alles drehte sich hier nur um ein Thema: Sexualität.

Ich entschied, meinem Lieblingsbistro, Aquarella, noch einen Besuch abzustatten und die Abendstimmung zu geniessen. Bei einem Glas Rotwein in vorderster Reihe war es leicht, sich von den unermüdlich heranrollenden Wellen in einen Zustand tiefer Meditation versetzen zu lassen. Ich starrte in die Wogen und sah mich mit Mara im Bett und dann war es Carinda, nur um dann wieder zurück zu Mara zu wechseln. Mir war, als würden beide Bilder um Dominanz ringen. Dabei gelang es keinem von beiden, denn so intensiv die animalische Version auch war, so unvergesslich blieb auch die spirituelle Variante in meiner Erinnerung. Das irritierte mich. Ich konnte aus eigenem Erleben berichten, dass jede der beiden Erfahrungen ein Hochgenuss war. Während im zweiten Fall die körperlicher Ebene zum Selbstzweck wurde und für uns beide mit einem gemeinsamen Mega-Orgasmus endete, war sie im ersten Fall nur das Spielfeld für die seelische Ebene. Der seelische Orgasmus war hier ein Hochgenuss für unsere Herzen und Seelen, weil sie eins sein durften.

Ich hatte die seelische Variante in dieser Intensität nie erlebt. Nicht im Traum hätte ich es für möglich gehalten, dass zwei Menschen, die sich erst gerade begegneten, dazu fähig sind.

Wenn Sie beim Lesen jetzt glauben, dass ich die seelische der animalische Variante vorziehen würde …

Wie? Sie haben nicht darüber nachgedacht? Es fällt mir schwer, Ihnen zu glauben. Also, ich hatte darüber nachgedacht und erst ein zweites Glas Rotwein brachte Klarheit.

Dies war mein Urteil: Für mich sind beide völlig gleichwertig. Das hatte ich in dem Moment erkannt, als mir das YinYang-Symbol in den Kopf kam. Sie kennen es sicher. Dann wissen Sie auch, dass im schwarzen Bereich vom Yin auch Yang als weisser Punkt enthalten ist. Und das Gleiche gilt für die andere Hälfte des Zeichens. Im weißen Yang ist das schwarze Yin als Punkt enthalten.

Auf die beiden sexuellen Spielarten bezogen stelle ich mir vor, dass das schwarze Feld dem Körper und der weiße Punkt dem Geist entspricht, während es bei der spirituellen Version genau anders herum ist: der große weiße Bereich repräsentiert den Geist, während das schwarze Zentrum das Physische symbolisiert.

Und jetzt kommt das Wichtigste: Das Ganze, der Kreis, ist für mein Verständnis immer die Liebe. Deshalb sind beide Versionen gleichwertig. Ich schließe daraus sogar, dass man beide Versionen ausgewogen praktizieren sollte, um in einer guten Balance zu leben. Auf Libidos scheint man das erkannt zu haben.

Noch eine Erkenntnis ergab sich aus meinen Überlegungen: Wo Yin ohne eine Spur Yang gelebt wird, ist keine Liebe. Ohne Liebe erhält die animalische Version destruktive Elemente. Sie macht unglücklich und leer. Und die spirituelle Version ohne Liebe, gibt es die auch? Ja, selbstverständlich! Das sind die magischen Rituale und Zeremonien der unterschiedlichsten Sekten und Logen.

Was für eine Erkenntnis! Ich hielt inne. Trotz der zwei Gläser Wein kam mir der Gedanke, dass ich auch hier wieder Hilfestellung von Nicholas oder anderen guten Geistern von Libidos erhalten hatte.

Gedankenverloren fuhr ich nach Hause.

Was für ein Tag! Das glaubt mir niemand. Natürlich nicht, denn es gibt nirgendwo in unserer Welt einen Hinweis auf Libidos. Die würden mich einsperren. Also beschloss ich, dieses Erlebnis für mich zu behalten. Warum sollte ich es auch erzählen? Um mich interessant zu machen? Diese Phase meines Lebens hatte ich hinter mir. Es interessierte mich kein bisschen mehr, was andere Menschen von mir halten.

Zu Hause angekommen, goss ich mir ein drittes Glas Rotwein ein und dachte über Libidos nach.

Wenn ich das alles nicht geträumt hatte, dann war mein Erlebnis sensationell.

Natürlich hatte ich nicht geträumt. Carinda war schließlich physisch in mein Leben gekommen und die Fahrt übers Meer war auch keine Fantasie. Die Insel erschien mir dagegen unrealistisch und eher magisch. Wer weiß, wohin Carinda mich entführt hatte.

Dann fiel mir ein, was Mara alles von mir wusste. Hatten sie wirklich in mein Leben eingegriffen? War es überhaupt denkbar? Ich setzte meinen gesunden Menschenverstand ein und versuchte, eine Erklärung dafür zu finden, dass ich mit 58 Jahren die Entscheidung traf, die Firma Swiss Harmony zu gründen und sie nach meinen ethischen Grundsätzen und zum Besten des Ganzen zu führen. Konnte es tatsächlich sein, dass mir diese Entscheidung eingespielt wurde?

Natürlich wusste ich, dass die Technik der Gedankenmanipulation militärisch genutzt wird. Keine Ahnung, wie so was funktioniert, doch es muss etwas mit Skalarwellen zu tun haben. So viel war klar. Na ja, und auf Libidos hatte man im Laufe der vielen Tausend Jahre sicher ganz andere Fähigkeiten entwickelt, die über das uns Vertraute weit hinausgehen. Ich beschloss, dass so etwas möglich sein könnte.

Damit musste ich gleichzeitig akzeptieren, dass alle anderen Gedanken und Entscheidungen, die ich für meine eigenen hielt, vielleicht von Libidos beeinflusst waren. Auch hielt ich es für möglich, dass Libidos bestimmte Menschen und Gegenstände in mein Leben schleuste, um die notwendigen Impulse zu geben.

Zum Beispiel Hella, die mir sofort im Ältestenrat auffiel. Meine Hella war eine Kollegin und Yogalehrerin, die mir die spirituelle Welt nähergebracht hatte. Ihr hatte ich zu verdanken, dass ich mich für entsprechende Bücher interessierte und auf Carlos Castaneda stieß. Sein Buch, “Eine andere Wirklichkeit”, fand ich damals zuoberst auf einem Ramschtisch. Es fiel mir sofort ins Auge. Nach Band eins las ich alle Bücher von Castaneda. Sie waren für mich wie eine Initiation.

Viele Ereignisse in meinem Leben sah ich nun mit völlig anderen Augen. Auch fühlte ich mich nachträglich in meinem Gefühl bestätigt, dass Swiss Harmony eine eigene Entwicklungsdynamik hat, beinahe so etwas wie eine eigene Absicht. Ich hatte mich immer nur als ausführenden “Statthalter” empfunden. Erkannte ich hier die Absicht von Libidos?

Ich nahm mir vor, Carinda zu fragen, wenn ich sie das nächste Mal sehe.

Moment mal! Da fiel mir ein, dass wir nichts besprochen hatten. Wie sollte ich sie denn wiedersehen, wenn ich nicht wusste, wie ich dorthin komme?

Mir wurde klar, dass ich angebissen hatte und mein kleines Selbst sich jetzt durchsetzen wollte. Ich wollte zurück und freute mich vor allem schon jetzt auf die Zeit der Liebe. Wenn ich auch zunächst sehr ablehnend war, musste ich nun einräumen, dass mir jetzt schon einiges am Matriarchat gefiel. Ich wollte mehr davon. Doch wie sollte ich je wieder dorthin kommen?

Ich besann mich und brachte mich zurück ins Vertrauen und in die Hingabe ans Leben. Wenn es ein weiteres Treffen geben sollte, würde es schon irgendwie passieren. Und wie zur Bestätigung erinnerte ich mich an Carindas Worte beim Abschied: „Ich freue mich schon auf deinen nächsten Besuch.“ Na, bitte! Kein Grund zur Panik.

Ich goss mir noch mal nach und spürte, wie meine Anspannung langsam nachließ.

Plötzlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Wie lange war das schon der Fall? Tatsächlich lebte ich immer schon in dem Bewusstsein, dass mich eine ganze Schar liebevoller, geistiger Helfer umgab und mir dabei behilflich war, mein Leben zu meistern und in meinem Vertrauen zu bleiben. Ich bin davon überzeugt, dass ich ohne sie nie dort angekommen wäre, wo ich heute war. Doch waren sie in Wirklichkeit womöglich von Libidos? Das würde einige Fragen aufwerfen. Zum Beispiel: All die sogenannten geistigen Führer, die laut eigenen Aussagen aus anderen Galaxien stammen, oder aus irgendeiner geistigen Ebene der göttlichen Ordnung. Sind sie vielleicht in Wahrheit die höher entwickelten Menschen auf Libidos, die es zu ihren Herzensanliegen gemacht hatten, die verirrten und fehlgeleiteten Menschen der Erde wieder auf Kurs zu bringen?

Na ja, das war vielleicht zu weit hergeholt und lag möglicherweise nur an meinem vierten Glas Wein. Doch darüber nachzudenken, war es durchaus wert. Meinen Sie nicht?

Ein ketzerischer Gedanke formte sich: Was, wenn jede Art von Intuition eine subtile Art von Hilfe realer Wesen ist, die wir lediglich mit religiösen Inhalten verbrämen, weil sie sich uns nicht zu erkennen geben, aus welchen Gründen auch immer? Manche Menschen hören Stimmen, manche haben Visionen oder ein klares, plötzlich auftretendes Wissen. Woher kommen diese Impulse und wer teilt sie aus? Das sind doch berechtigte Fragen. Sind wir nicht viel zu schnell bereit, uns das, was wir nicht verstehen können, mit religiösen Inhalten zu erklären?

Aber kann es denn sein, dass die paar Bewohner dieser kleinen Insel Libidos so viel Einfluss auf unser aller Leben haben?

„Wie kommst du darauf, dass es nur Libidos gibt?“, formte sich eine Frage in meinem Kopf.

Aha, dachte ich. Das war sicher eine Frage, die direkt aus Libidos übermittelt wurde. Ich hörte aufmerksam in mich hinein und sagte im Stillen: „Dachte ich tatsächlich zuerst, doch jetzt, wo ihr fragt, wird mir klar, dass es ein wenig zu einfältig gedacht war. Gibt es denn woanders noch weitere Völker wie das eure?“

“Hast du schon mal von Shangri-La gehört und von Atlantis?“

„Shangri-La ist das geheimnisvolle Land in den Bergen des Himalayas, das nur Menschen finden, die einen gewissen Bewusstseinszustand erreicht haben und ihr Leben aufs Spiel setzen, um dort hin zu gelangen. Stimmt doch, oder?“

„Ja, dort wohnen unsere Brüder und Schwestern, die genauso arbeiten wie wir.“

„Sehr interessant und für mich nachvollziehbar. Aber Atlantis? Da vertut ihr euch sicher, denn dieser Kontinent ist vor vielen Jahrtausenden untergegangen.“

„Ja, im Schnee. Heute liegt er tief vergraben unter ewigem Eis und Schnee, aber es gibt ihn noch.“

„Wie jetzt? Wo soll er denn sein?“

„Na, denk nach, wo findest du einen großen Kontinent, der mit Schnee und ewigem Eis bedeckt ist?“

„Du meinst doch nicht etwa die Antarktis?“

„Doch genau die meine ich. Beim letzten Polsprung hat es sie erwischt. Es gibt eine sehr große Bevölkerung dort, die in riesigen Eishöhlen ganze Städte errichtet haben. Weit unter der Oberfläche. Nicht zu entdecken für den normalen Menschen mit seinen dürftigen Technologien.“

„Das erklärt jedoch vieles“, erwiderte ich, „Über die Antarktis gibt es ja unzählige Gerüchte und unerklärbare Phänomene. Stimmt es, dass die Nazis sich dorthin zurückgezogen haben?“

„Das stimmt nur zum Teil oder indirekt. Ihr habt eine völlig falsche Vorstellung von den Hintergründen des zweiten Weltkrieges. Das können wir gerne später einmal genauer besprechen.“

Das passte. Ich hatte immer vermutet, dass der kleine und unscheinbare Maler nicht die treibende Kraft hinter den Dynamiken war, die den Zweiten Weltkrieg ausgelöst hatten. Er war nach meinem Dafürhalten nur eine Marionette.

„Gibt es noch mehr von euch?“

„Na klar! Was glaubst du denn?“

„Ja, und wo jetzt genau?“

„Du hast doch sicher bereits von der Hohlen Erde gehört?“

„Das glaube ich jetzt nicht! Die gibt es wirklich?“

Ich hatte natürlich von ihr gehört, von den Berichten Amundsens und Admiral Byrd. Irgendwie leuchtete mir das alles ein, doch fand ich die These ein wenig steil und vergaß sie mit der Zeit.

„Ja, es gibt sie und sie ist berauschend schön. Hier leben auch noch andere Arten, die euch völlig unbekannt sind. Dort sind unsere Brüder und Schwestern Teil einer großen, friedlichen Allianz.“

„Wer bist du?“, fragte ich die Stimme aus dem Off.

„Mein Name ist Stratus. Du wirst mich noch persönlich kennenlernen. Jetzt schlage ich vor, dass du dich mit etwas anderem beschäftigst. Das war sicher genug Information fürs Erste. Gute Nacht!“

„Gute Nacht, Stratus! Und danke!“

Nach vier Gläsern Wein war ich zu nichts mehr zu gebrauchen.

Ich ging ins Bad und zog mich aus.

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